Toleration and Tolerance. Models, Metamorphoses, Implications

Am Anfang des ersten Satzes der europäischen Überlieferung, im Eingangsvers der Ilias, taucht das Wort »Zorn« auf, fatal und feierlich wie ein Appell, der keinen Widerspruch duldet.


Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch,
Frankfurt (Main): Suhrkamp 2006.

Coincidentia oppositorum, - la coïncidence des contrastes; l'unité de ce qui a été désuni, c'est ainsi que Dieu est défini par Nicolas de Cusa, le philosophe le plus profond du quinzième siècle, qui fut un précurseur de Copernic et du sens moderne de l'individualité, car il enseigna qu'aucune chose ne pouvait être remplacée par une autre et que, bien qu'elle ne puisse être comparée à aucune autre, elle représentait cependant l'univers à la place qu'elle occupait.


Georg Simmel, Mélanges de philosophie relativiste. Contribution à la culture philosophique,
Bibliothèque de philosophie contemporaine
, Paris: Félix Alcan 1909/10.

 

Auch in der westlichen Welt ist man allzu oft in heftige und stürmische Konflikte mit dem geraten, was generell als das „Andere" bezeichnet werden könnte.

Die Geschichte der Bekämpfung des „Anderen", „Verschiedenen" und „Fremden" ist in der westlichen Tradition lang und erbarmungslos. Sie ist an den Zyklen grausamer Kriege, organisierter Pogrome unmd Hinrichtungen am Galgen oder auf dem Scheiterhaufen ablesbar. Diese blutigen Auseinandersetzungen fanden nicht nur zwischen größeren Gruppen mit einer gemeinsamen Identität statt; sie wurden begleitet von einer Geschichte der Unterdrückung von Minderheiten und stigmatisierten Gruppen. Insbesondere im Mittelalter herrschte durch die religiöse Identität, die institutionell wie sprachlich gefasst war (res publica christiania), eine konfliktfördernde Atmosphäre.

Vor allem wirtschaftliche und politische Interessen führten jedoch zu einer Suche nach alternativen Lösungen in der Begegnung mit dem „Anderen". Der erste Vorschlag dieser Art wurde im frühen 15. Jahrhundert von dem polnischen Gelehrten und Rektor der Krakauer Akademie Paweł Włodkowic (Paulus Vladimiri), in seinem Tractatus de potestate papae et imperatoris respectu infidelium formuliert. Auf diese Weise wuchs die Idee der Toleranz zu einem Wert der Aufklärung und damit auch zu einem Teil dessen heran, was wir heute nicht ohne Stolz als „westliche Kultur" bezeichnen.

Wie viele Beispiele von Toleranz wir auch in der früheren Vergangenheit finden mögen, so verstärken sich angesichts der Verwüstungen der Religionskriege ab 1648 deutlich die Bemühungen um eine Ausgleichslösung. Zu dieser Zeit wurden auch erste theoretische Modelle hierfür entwickelt. Führend auf diesem Gebiete erwiesen sich die Engländer, die in ihren sehr ausgearbeiteten Theorien auch solche Feinheiten, wie den Unterschied von Tolerierung und Toleranz berücksichtigten. Dank der Theoretiker der Aufklärung avancierte der Begriff Toleranz von einem schlichten Slogan zum Fundament der Aufklärung.

Nichtsdestotrotz wurde die Toleranz mit der Zeit wieder zu einem fraglichen Wert. Noch im 18. Jahrhundert, im Zuge der nationalen und territorialen Machtbestrebungen, kehrt das Problem des „Anderen" zurück und mit diesem auch Eroberungen sowie kulturelle und rassistische Pogrome. Die von Locke, Spinoza, Bayle und Voltaire postulierte Kultur der Toleranz wurde teilweise gepflegt, teilweise angefochten und teilweise geradezu abgelehnt.

Erst die totalitären Erfahrungen des 20. Jahrhunderts führten zu einer groß angelegten Wiederentdeckung der Bedeutung der Toleranz und zur Hervorhebung ihrer globalen Dimension im Jahr 1995 durch die Vereinten Nationen. Die exportierte und angewendete Kultur der Toleranz führte globale Standards der zivilen und politischen Einstellung mit sich. Rund um die Idee der Akzeptanz des „Anderen", des Respekts und der weitgehenden Toleranz wurden parallel neue Modelle der sozialen Ordnung entwickelt.

Die intensiven, weltweit beobachtbaren Veränderungen, führten zu Metamorphosen ganzer Gemeinschaften, die parallel zur Transformation der bürgerlichen Konstellationen in einem rasend schnellen Tempo voranschritten. Entweder man akzeptierte jene aus diesen Veränderungen neu entstandenen gesellschaftlichen Morphologien oder aber man zeigte ihre Fehler auf.

Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen, ökonomischen und finanzpolitischen Spannungen wird der von den Vereinten Nationen eingeführte internationale Tag der Toleranz wie nie zuvor zu einer Herausforderung für die gesamte globalisierte Welt. Die Herausforderung ist deshalb umso bedeutender, als dass weitere Werte der westlichen Gemeinschaft auf dem Spiel stehen, die innerhalb des ökonomischen und politischen Wettlaufs mit anderen kulturellen Modellen aber auch mit innerwestlichen Vorstellungen in einem ständigen Wertekonflikt stehen.

Zur Würdigung der Geschichte und Bedeutung der Toleranz in der westlichen Welt haben die Villa Decius, der Internationale Club für Ideengeschichte und das Forschungszentrum für Ideengeschichte an der Jagiellonen-Universität die Ehre, Sie zur Konferenz unter dem Titel Tolerierung und Toleranz. Modelle, Metamorphosen, Implikationen einzuladen. Diese findet vom 18.-20. Oktober 2012 in der Krakauer Villa Decius statt. Das Problemspektrum wird ausführlich und interdisziplinär behandelt: beginnend mit Beispielen aus der Praxis, über das Abstecken des konzeptuellen Rahmens, bis hin zur Definition neuer und angepasster Lösungen und sowohl im Kontext innergesellschaftlicher Zusammenhänge als auch im Kontext global-ökonomischer wie politischer Herausforderungen und ihrer Interdependenz.

Krakau, den 15. Januar 2012                                                         Michel Henri Kowalewicz

Publikationsdatum: 13.05.2014
Herausgeber: Konrad Szocik

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